Von Schachbrettmuster bis LSD-Trip – Radtrikots im Wandel der Zeit

Mit Rainer Sprehe im Gespräch über die legendären Radtrikots der Profiteams

Traditionelle Radsporttrikots und Fahrer
Besondlere Trikotdesigns haben im Radsport seit jeher Tradition.

Nostalgisch denkt so mancher Radsportfan an längst vergangene Zeiten im Peloton zurück, als Eddy Merckx im Molteni-Trikot auf der Via Roma von Sanremo die Arme in die Luft reckte. Die Radtrikots der Profiteams haben sich mit ihrem Wiedererkennungswert ins Gedächtnis eingebrannt und bleiben bis heute unvergessen. Wir haben mit dem Verleger von Radsportliteratur Rainer Sprehe über die historischen Traditionstrikots im Radsport, angefangen beim Maillot jaune bis zum Schachbrettmuster von Peugeot, gesprochen.

Trikotdesign: die Kunst einer Leidenschaft

„Es gibt in der Geschichte des Radsports vielleicht zwei, drei Dutzend Trikotdesigns, die absolut herausragen“, sagt Rainer Sprehe. Ob eines der modernen Oberteile eine Chance haben wird, sich später einmal in diese besondere Trikot-Hall-of-Fame einzureihen, das ist heute seiner Meinung nach noch schwer zu sagen.

Das Trikot als Nostalgiebeschleuniger

Aber was braucht es eigentlich, um in diese spezielle Ruhmeshalle aufgenommen zu werden? „In dem Fall sind wohl zwei Zutaten entscheidend. Zum einen eine genial einfache, einfach geniale Gestaltungs-Idee mit hohem Wiedererkennungswert, die konsequent durchgezogen wird. Zum anderen große Fahrer, die in diesem Trikot Erfolge eingefahren haben, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben“, ist die Überzeugung des passionierten Gründers des Covadonga Verlags, eines kleinen Verlags für Radsportliteratur mit Sitz in Bielefeld.

Ist beides gegeben, funktioniert ein Trikot bestens als Nostalgiebeschleuniger. „Entdeckt man heute irgendwo ein Molteni-Trikot, und sei es auch nur ein minder originalgetreues Replika-Hemd, sieht man vor seinem geistigen Auge doch gleich Eddy Merckx mit Irrsinnsgenugtuung auf der Via Roma von Sanremo die Arme in die Luft recken“, schwärmt Sprehe. Radsportliebhaber haben normalerweise zu jeder der Trikot-Berühmtheiten solche Bilder im Kopf. Und dennoch – oder wohl gerade deshalb – befürchtet Sprehe, dass einige dieser Trikots im Nachhinein erheblich beeindruckender und herausragender wirken als zu der Zeit, in der sie im Peloton getragen wurden.

Ein Trikot wie kein anderes ist der „kunterbunte LSD-Trip des Team Mapei“, wie Rainer Sprehe das Design gerne bezeichnet:

Die Frage, wer das Trikot denn getragen haben muss, um damit in die Radsport-Geschichte eingehen zu können, beantwortet Sprehe ganz einfach mit einem Augenzwinkern: „Ein Fünffach-Sieger der Tour de France sollte das Trikot getragen haben. An echten Ikonen sahen schließlich auch Obskuritäten gut aus, sei es das Pril-Blumen-artige C&A-Trikot, in dem Eddy Merckx abtrat oder die lieblos zusammengeklebte Collage von Maillot jaune, Maillot verte und Maillot blanc à pois rouges, die Bernard Hinault als Führender der Kombinationswertung trug, als er 1986 auf der Ziellinie in L‘Alpe d‘Huez kurz Händchen mit Greg LeMond hielt.“

Von genial einfachen Designs und Stumpfsinn

Aber wann ist ein Design denn überhaupt einfach und genial zugleich? Fest steht wohl: Allzu leicht dürfen es sich die Geldgeber und Designer großer Radsportteams auch nicht machen. Lediglich die Etiketten der jeweiligen Produkte als Trikot nachzubauen, ist nach Sprehes Erfahrung kein „Geistesblitz, der etwas für die Ewigkeit erschafft“.

Ein Paradebeispiel dafür ist der Fall der Zigaretten-Marke Caballero aus den Niederlanden. Die Zigaretten waren zu ihrer Zeit in ansprechenden Verpackungen auf dem Markt, die auch hohen Wiedererkennungswert besaßen. Die Farben der Nationalflagge waren hier adrett mit dem vielbesungenen Oranje verknüpft. Und trotzdem: „Als Radtrikot wirkte das letztlich arg schlafanzugmäßig“, meint Sprehe.

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Wenn es um Aufmerksamkeit gehen soll, darf aber nicht vergessen werden, dass man diese natürlich auch provozieren kann. Wie? „Indem man ein Marken-Design mit einer Kompromisslosigkeit aufs Trikot-Design überträgt, die schon an Stumpfsinn grenzt“, so der passionierte Radsportliteratur-Verleger.

Auch das sorgt erfahrungsgemäß für Bekanntheit, wenn auch nicht unbedingt immer im positiven Sinne: „Man denke nur an das Castorama-Desaster, als die französische Baumarktkette die Fahrer ihres Teams in ein Trikot steckte, das dem Blaumann des Verkaufspersonals nachempfunden war. Da wurde das Salär der Profis beinahe zum Schmerzensgeld, so gruselig sah das aus.“

Wenn er dagegen an geniale Designs aus der Geschichte des Radsports denkt, dann fallen Rainer Sprehe sofort einige besondere Vertreter ihrer Art ein: „Der Juve-Look von Carpano. Die Stars and Stripes von Brooklyn als Verheißung großer amerikanischer Freiheit. Die Mondrian-Reverenz von La Vie Claire. Der kunterbunte, verspätete LSD-Trip des Team Mapei. Oder eben der herrliche weiße Peugeot-Sweater mit dem Rallyestreifen im Schachbrettmuster.“

Die Bedeutung der Traditionstrikots im Radsport

Egal ob einfarbig, knallig, schwarz oder gepunktet – die Radtrikots der Profiteams haben eine weitreichende Tradition und natürlich auch eine besondere Bedeutung. „Bei den bedeutendsten Trikots fallen einem natürlich als erstes die ruhmreichen Ehrentrikots ein, bei denen sich der Träger das Recht, sie überstreifen zu dürfen, erfolgreich erkämpft haben muss“, sagt Sprehe. Dazu gehören das Regenbogentrikot, die Leader- und Wertungstrikots der großen Landesrundfahrten, allen voran das Maillot jaune, die Maglia rosa und auch das rot getupfte Trikot des Bergkönigs. Auch die Nationaltrikots und die Meistertrikots der großen Radsportnationen müssen an dieser Stelle natürlich Erwähnung finden.

Das Bild unten zeigt den britischen Radrennfahrer Christopher Froome bei der Tour de France 2016 im Maillot jaune, dem gelben Wertungstrikot, das stets der in der Gesamtwertung führende Teilnehmer trägt. Aber warum ist das Trikot denn eigentlich ausgerechnet Gelb? „Allein die Diskussionen, warum das Gelbe Trikot gelb ist, könnten Bände füllen. Nach der offiziellen Tour-Geschichtsschreibung hat man erstmals im Jahr 1919 mit der Wahl von Gelb Bezug auf die Farbe des Papiers genommen, auf dem die Veranstalterzeitung gedruckt wurde“, erklärt Rainer Sprehe. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Punkt: In Gelb gekleidet sollte der Gesamtführende der Tour de France auch von den Zuschauern besser erkannt werden.

Eines war jahrzehntelang eine klare Sache und somit unumstößlich: Alle großen Radsportnationen hatten eine Trikolore als Nationalflagge und folglich trugen auch ihre Landesmeister ein Trikot, das komplett als Trikolore gehalten war. Das bedeutet, die drei Farben waren stets mit annähernd gleichem Flächenanteil übereinander angeordnet. „Im Falle Frankreichs, Belgiens, Italiens oder der Niederlande darf man von wahren Klassikern sprechen, die – gerade, wenn sie aus der Ära der Wolltrikots mit Knopfleisten oder Schlappohrkragen stammten – eine besondere Aura besitzen, der sich niemand entziehen kann“, erklärt der Verleger rückblickend.

Und dennoch gilt: Die Kombination aus sehr genauen Verbandsvorgaben, hohen Ansprüchen der Sponsoren und den unbegrenzten Möglichkeiten moderner Druck- und Veredelungsverfahren ist im Hinblick auf das Design eines Traditionstrikots eine schwierige Angelegenheit. Denn: „Irgendwie müssen die Landesfarben unfallfrei in ein fertiges Team-Design integriert werden, ohne dass es konfus wird. Das geht manchmal gut, viel häufiger aber richtig in die Hose“, so Sprehe. „Erinnert sei hier nur an die Saison, in der sich Mark Cavendish zu Zeiten seines Engagements bei Omega Pharma – Quick Step ständig höhnische Bemerkungen anhören musste, ob er als Brite versehentlich die niederländische Meisterschaft gewonnen hätte.“

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Von clean bis knallig: 3 legendäre Radtrikots der Profiteams

Bei Teamtrikots gibt es nach Sprehe im Prinzip nur ein objektives Kriterium, um abzuwägen, wie bedeutsam ein Design ist. Und zwar die Frage, wie lange es im Profipeloton zu sehen war. „Generell sind die Teams im Radsport ja vergleichsweise kurzlebig, weil sie nicht an einen Ort und eine Vereinskultur gebunden sind, wie es etwa im Fußball der Fall ist, sondern an das Wohlwollen eines Sponsors. Folglich überstehen nur die wenigsten Mannschaften mehrere Saisons mit einheitlichem Namen“, erklärt der passionierte Verleger.

Aber es gibt sie doch, die Ausnahmen: Rennställe, die den Radsport über Jahrzehnte geprägt haben, und zwar zum Teil sogar in einem annähernd gleichbleibenden Gewand. Dazu zählen, neben einigen anderen, in jedem Fall Bianchi und Peugeot.

Radtrikots der Profis
Traditionstrikots aus dem Archiv von Rainer Sprehe.

Peugeot

Das Paradebeispiel für ein Traditionstrikot schlechthin ist Peugeot. Ein Unternehmen, das viele Jahrzehnte Top-Teams finanzierte, anfangs als Fahrradhersteller mit eigenem Werksteam, später eher in der Rolle des Sponsors. „Gelb und Blau waren seit jeher die Markenfarben von Peugeot. Und Gelb und Blau waren auch von Anfang an die Erkennungszeichen der Peugeot-Equipe, als in den Kindertagen des Radsports die Vertragsfahrer der großen Fahrradfabriken dazu übergingen, bei Straßenrennen in einem einheitlichen Dress anzutreten. Daran hielt das Team mit bemerkenswerter Linientreue fest“, erzählt Sprehe.

So war das Peugeot-Trikot zu Beginn der 1960er letztlich nur eine zeitgenössische Variante des Wollsweaters, in dem Eugène Christophe zur Tour de France 1913 antrat: ein gelber Querbalken, der einmal rund um ein blaues Trikot lief, über Brust, Rücken und Ärmel.

1963 folgte dann ein radikaler Bruch: Fortan traten Peugeot-Fahrer in weißen Hemden mit dem legendären Schachbrettmuster-Streifen an. Dabei ging es anfangs vornehmlich um Sichtbarkeit und Wiedererkennungswert beim großen TV-Publikum: „Das markante, von Zielflaggen und Rallyestreifen im Automobilrennsport bekannte Muster fiel im Schwarz-Weiß-Fernsehen hervorragend auf. Also behielt man es 24 Saisons lang bei. Praktisch unverändert. Lediglich auf den Ärmeln wechselten sich drei große Mineralölkonzerne mit ihren Markenlogos ab.“

Und dennoch ist die Historie gar nicht so einfach nachzuvollziehen, wie man auf den ersten Blick denkt. Für eine genaue Zuordnung zu einer bestimmten Saison bedarf es nämlich eines geschulten Auges. „Stößt man beispielsweise auf eins der Schachbrett-Trikots von Peugeot, bei dem Kragen und Ärmelbündchen nicht in Schwarz, sondern in den französischen Nationalfarben gehalten sind, so repräsentieren diese mitnichten vergangene Meisterehren. Es war vielmehr so, dass bei der Tour de France 1970, also unmittelbar nach dem Ende der Ära der Nationalmannschaften, die einzelnen Länder auf diese Weise auf den Trikots der Sponsorenteams präsent blieben“, so Sprehe.

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Bianchi

Vor allem bei den Radtrikots der Profiteams ist die Farbwahl traditionell von großer Bedeutung. „Lange Zeit, bis weit in die 1950er hinein, erlaubten die Regularien der UCI ausschließlich den Unternehmen der Fahrradindustrie, Radrennställe zu betreiben. Und die großen Fahrradhersteller hatten nun mal in der Regel eine spezielle Hausfarbe, in der sie die allermeisten Rahmen lackierten, die ihre Fabrik verließen“, erklärt der Verleger.

Dieselben Farben wurden dann selbstredend auch für die Trikots der jeweiligen Radteams eingesetzt. Bianchi zum Beispiel hatte seit je her sein Celeste, dem der Fahrradhersteller bis heute beständig treu bleibt.

Fausto Coppi im damals noch himmelblauen Bianchi-Trikot.

Aber betrachtet man Bianchis berühmtes Celeste im Laufe der Zeiten, sind deutliche Farbschwankungen erkennbar. „Während man dem Bianchi-Trikot von Fausto Coppi nicht gänzlich Unrecht getan hätte, es einfach ‚himmelblau‘ zu nennen, war das Trikot, in dem Jan Ullrich 2003 einen letzten scharfen Angriff auf den Tour-Sieg startete, doch erheblich grünstichiger“, sagt Sprehe.

Jan Ullrich im Traditionstrikot von Bianchi:

Sky

Obwohl die Farbe Schwarz in der Mode immer als eine defensive Sicherheitslösung gilt, hat das Team Sky damit für Furore und einen herausragenden Wiedererkennungswert gesorgt. „Klar, originell ist sicherlich etwas anderes, aber so einfallslos fand ich persönlich das kleine Schwarze von Sky eigentlich gar nicht“, sagt Sprehe zu den polarisierenden Diskussionen. „Ein so aufgeräumtes Design strahlt auch eine gewisse Eleganz aus. Das kann sich nicht jedes Team leisten.“

Im Grunde ist es mit Schwarz aber wie mit den meisten Farben. Im Peloton der Profis geht es um Sichtbarkeit – auch auf den ersten Blick aus der Hubschrauberperspektive. „Wenn ich das einzige Team in Schwarz bin, habe ich als Marketingverantwortlicher und Trikotdesigner alles richtig gemacht. Wenn fünf andere Mannschaften auch in dunklen, auf clean getrimmten Designs rumfahren, gehe ich in einer Herde schwarzer Schafe unter“, erklärt der Verleger.

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Übrigens: Die dezente Asymmetrie mit dem einarmigen himmelblauen Ärmelstreifen auf dem schwarzen Trikot verwies auf eine Tradition aus der Frühzeit des Straßenradsports, als die einzelnen Fahrer noch mittels Armbinden gekennzeichnet waren und nicht durch Rückennummern. „Solche kleinen Ehrerbietungen gegenüber der Historie des Sports gehören im Radrenn-Metier natürlich auch dazu“, stellt Sprehe mit einem Augenzwinkern fest.

Von Lieblingstrikots und Radsport-Mysterien

Fragt man Rainer Sprehe nach seinem Lieblingstrikot, wird es für den passionierten Radspotliteratur-Verleger aber knifflig und die Entscheidung fällt schwer: „Ich würde gerne drei nennen. Und zwar Brooklyn, Faema und St. Raphaël-Gitane.“ Warum? „Ganz einfach, weil sie für mich mit einem der zentralen Mysterien des Radsports verknüpft sind: Sahen Roger De Vlaeminck, Eddy Merckx und Jacques Anquetil so gut aus, weil sie so schnell fahren konnten? Oder konnten sie so schnell fahren, weil sie so gut aussahen?“

Lieblingstrikots von Rainer Sprehe
Die drei absoluten Lieblingstrikots von Rainer Sprehe: Brooklyn, Faema und St. Raphaël-Gitane.

Dass den Radtrikots der Profiteams geniale Gestaltungsideen mit hohem Wiedererkennungswert zugrunde liegen, ist in jedem Fall kein Geheimnis mehr. Wenn Sie nach all den nostalgischen Anregungen nun selbst schon einige ausgefallene Ideen für Ihr ganz persönliches Traditionstrikot im Kopf haben, die es schnellstmöglich zu verwirklichen gilt, können Sie bei uns Ihr Radtrikot ganz einfach selbst gestalten.

Und falls Sie noch mehr Radsport-Lesestoff benötigen, sollten Sie unbedingt einmal im Buchprogramm des Covadonga Verlags stöbern. Außerdem können Sie sich in unserem Magazin über Leidenschaft und Teambuilding im Hobbyradsport und über die legendären Eintagesrennen informieren.

Wir möchten uns ganz herzlich bei Rainer Sprehe für das interessante Interview und sein Engagement, uns an seinem umfangreichen Wissen teilhaben zu lassen, bedanken!

Bilder: Bild 1: © gettyimages/ chichi (oben); Covadonga Verlag/Das Buch der Radsporttrikots (unten); Bild 2: © Covadonga Verlag/Das Buch der Radsporttrikots; Bild 3: © Covadonga Verlag/Das Buch der Radsporttrikots

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